Begegnung der dritten Art mit Bertones mythischen „Batmobilen“

Vom Design-Wunderkind Franco Scaglione für Bertone entworfen, erschütterten die visionären B.A.T. Concept Cars die Automobilkultur der 1950er Jahre.

Besucher des Turiner Automobilsalons des Jahres 1953 erwarteten, die neuesten Serienmodelle von Alfa Romeo, Lancia und Fiat begutachten zu können – doch auf die Überraschung, die sie am Stand des Designstudios Bertone erwartete, waren sie sicherlich nicht vorbereitet. Das verblüffende, dort im Scheinwerferlicht funkelnde Show Car trug den Namen Berlinetta Aerodinamica Tecnica 5 – oder kurz B.A.T. 5. – und basierte auf dem Fahrwerk des barocken Alfa Romeo 1900 SS. Doch ästhetisch stammte es offensichtlich direkt aus der Zukunft: Die Karosserie spannte sich voluminös und mit sinnlichen Kurven über die Technik, an der Front erinnerten eine spitze Nase nebst gewaltigen Lufteinlässen an ein Düsenflugzeug, die ausladenden Flanken verbargen die Räder – und am Heck ragten zwei eindrucksvoll geschwungene Flügel in den Himmel.

Entworfen worden war das futuristische Formenspiel von Bertones kreativem Vordenker Franco Scaglione, der sich ganz offensichtlich von der extravaganten Ästhetik des Jet Age hatte inspirieren lassen, die sich im Amerika der Nachkriegszeit zur dominanten Stilrichtung entwickelt hatte und selbst einfachen Alltagsprodukten spektakuläre, aeronautisch inspirierte Flügel verlieh. Scaglione war es mit dem B.A.T. 5. nicht nur gelungen, den avantgardistischen Düsenjäger-Look mit jenem Feingefühl für Propotionen und Eleganz zu vereinen, für welches die italienische Karosseriebaukultur weltbekannt geworden war. Er hatte der Designstudie auch seinen ganz persönlichen Twist mit auf den Weg gegeben.

B.A.T. 5 bot nicht nur einen atemberaubenden Anblick – das Auto war auch äußerst aerodynamisch. Der Auftrag, den Franco Scaglione von Giuseppe ‘Nuccio’ Bertone erhalten hatte, forderte die Entwicklung einer fortschrittlichen Karosserieform, die einen möglichst niedrigen Strömungswiderstandskoeffizienten aufwies. Schon während der ersten Tests erwies sich die Berlinetta Aerodinamica Tecnica als äußerst windschnittig. Da Bertone nicht über einen Windkanal verfügte, mussten die Ingenieure Wollfäden an der Hülle befestigen und bei voller Fahrt die Turbulenzen analysieren. Die leichte, stromlinienförmige und vollständig von Hand gebaute Karosserie ermöglichte es dem bescheidenen Zwei-Liter-Motor, Bertones erstes “Batmobil” auf eine beeindruckende Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h zu beschleunigen – und damit die schwere Alfa-Romeo-Limousine, aus welcher das Triebwerk stammte, deutlich abzuhängen.

Von Presse und Publikum gleichermaßen gefeiert, folgten auf B.A.T. 5 noch zwei weitere Aerodynamik-Studien namens B.A.T. 7 und B.A.T. 9, die 1954 und 1955 auf dem Turiner Autosalon debütierten und das ursprüngliche Konzept auf eine neue Stufe hoben. Für B.A.T. 7 verbesserte Scaglione seine Rezeptur und machte das Auto nochmals windschnittiger und spektakulärer. Die Nase saß tiefer, die Lufteinlässe waren glatter in den Karosseriekörper einmodeliert, das zentrale Rückgrat stand wie eine Rückenflosse in die Höhe und die beiden Heckflügel waren noch dramatischer geschwungen. Das messbare Resultat war ein Luftwiderstandswert, von dem Designer moderner Sportwagen heute nur träumen können.

Mit B.A.T. 9 schlugen Franco Scaglione und das Team bei Bertone schließlich leisere Töne an. Die dramatische Formensprache der ersten beiden Studien war zugunsten eines seriennäheren Designs relativiert worden. Zudem flossen erstmals klare Stilelemente der aktuellen Designsprache von Alfa Romeo mit ein. Die Nase war glatter und nicht mehr von tiefen Luftkanälen durchfurcht, dafür prangte an der Front der markentypische Alfa-Kühlergrill. Auch die Räder waren nun zumindest teilweise sichtbar und die ausladenen Fledermausflügel waren zu kleinen Finnen heruntergestutzt worden. Das kompromisslose Concept Car von einst hatte sich offensichtlich der Serienproduktion angenähert.

Doch obwohl die Prototypen voll funktionsfähig waren und von den Designern mitunter sogar auf Achse zu ihren Auftritten gefahren wurden, zog Alfa Romeo nie ernsthaft eine Serienversion der futuristischen, aber recht unpraktischen und vor allem äußerst kostspieligen “Batmobile” in Betracht. Nach ihrem Defilée wurden die drei Studien verkauft, um bei Bertone Platz für neue Projekte zu schaffen, und fanden sich bald voneinander getrennt in Amerika wieder. Ihr Zustand verschlechterte sich – B.A.T. 7 verlor sogar seine Flügel und wurde als Rennwagen eingesetzt –, bis sie in den 1980er Jahren von einem Sammler aus Südkalifornien wieder vereint und bald aufwändig restauriert wurden.

Ihrem geistigen Vater “Nuccio” Bertone hatten die drei Studien derweil dabei geholfen, sein Designstudio als avantgardistische Denkfabrik für die Automobilindustrie weltweit bekannt zu machen und die Bande mit Alfa Romeo zu stärken. Auch Franco Scaglione entwarf weitere wichtige Autos für die Mailänder Marke – etwa den eleganten Alfa Romeo Giulietta Sprint, den vom Jet Age inspirierten Alfa Romeo Giulietta Sprint Speciale oder den atemberaubend schönen Alfa Romeo Tipo 33 Stradale. Die B.A.T.-Serie gilt jedoch bis heute als Scagliones Opus Magnum.

Rückblickend gehören B.A.T. 5, B.A.T. 7 und B.A.T. 9 zu den mutigsten, kompromisslosesten und futuristischen Visionen der Automobilgeschichte. Spätestens nach ihren Auftritten beim Pebble Beach Concours d’Elegance in den Jahren 1989 und 2005 sowie Gastspielen bei wichtigen Ausstellungen zum Automobildesign gelten die drei Studien als geheimnisvollstes, begehrenswertestes und wertvollstes Trio klassischer Sammlerautos. Die Tatsache, dass Phillips – als eines der weltweit führenden Auktionshäuser für moderne und zeitgenössische Kunst, Design und Uhren – sich mit einer Ausstellung der drei “Batmobile” in London erstmals der Automobilgeschichte im November 2019 widmete, ist ein weiteres untrügliches Zeichen, dass Franco Scagliones Meisterwerke heute mit den Ikonen und unbestrittenen Meilensteinen der modernen Kunst, Architektur und Gestaltung auf Augenhöhe stehen.

Die B.A.T.-Studien markierten einen Wendepunkt in der Automobilgeschichte. Sie änderten von einem Moment auf den anderen die etablierten Spielregeln – ganz ähnlich, wie der Eiffelturm in Paris, das Atomium in Brüssel und Frank Lloyd Wrights Guggenheim Museum in New York die Vorstellung dessen, wie ein Gebäude auszusehen habe, auf den Kopf gestellt hatten. Man kann Bertones automobile Dreifaltigkeit gar mit Pablo Picassos Les Demoisellesd’Avignon, René Magrittes Ceci n’est pas une pipe oder Marcel Duchamps Fountain verleichen, die unser Verständnis von Kunst von grundsätzlich neu definierten. Und man kann sie einreihen in die Folge der großen Designklassiker wie Marcel Breuers Wassily Chair, der de Havilland Comet, Marc Newsons Lockheed Lounge und dem Apple iPhone, die Form und Funktion allesamt so spektakulär in Einklang brachten.

In diesem Sinne blieb der kreative Einfluss der B.A.T.-Studien beileibe nicht auf die Welt des Automobils begrenzt. Sie inspirierten Generationen von Designern und ermutigten kreative Köpfe aus aller Welt, innovativ zu sein, den Status Quo ihrer Disziplinen zu hinterfragen, ihr künstlerisches Potential zu entfalten und ihrer Inspirationskraft die Führung zu überlassen, um einmal mehr das Rad neu zu erfinden.

Photos: Tom Shaxson for Phillips / Classic © 2019

Quellenangabe: https://www.classicdriver.com/de/article/autos/begegnung-der-dritten-art-mit-bertones-mythischen-batmobilen

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