Fiat 1200 TV Trasformabile – Italienischer Verwandlungskünstler

Es muss nicht immer Alfa Romeo sein, auch die Turiner Firma Fiat hat exklusive Sportcabriolets gebaut, die heute noch jeden Liebhaber der Italianità begeistern. Mit dem Fiat 1200 TV „Trasformabile“ würde man am liebsten sofort Richtung Süden zur nächsten Espressobar losbrausen!

Besonderer Name

Der Namenszusatz „TV“ bedeutet „Turismo Veloce“, also „Sporttourer“. Die offene Variante nannte Fiat dann nicht einfach „Cabriolet“, sondern „Trasformabile“ („verwandelbar“), was doch viel exklusiver klingt.

Schnelle Evolution

Am Genfer Autosalon 1955 wurde der Fiat 1100 TV als Cabriolet vorgestellt, der Vorgänger des 1200 TV.

Natürlich diente der damalige Fiat 1100 als Grundlage, das Werk entwickelte darauf eine eigene sportliche Version, nachdem man vorher den unabhängigen Karosseriebauern den Vortritt gelassen hatte.

Wie damals üblich, konnte man bei Fiat damals unverkleidete Fahrgestelle kaufen, und es von Michelotti, Frua, Allemano, Pininfarina oder anderen Karosserieschneidern einkleiden lassen, was natürlich seinen Preis hatte. Bei diesen Blechkünstlern entstanden in den Fünfzigerjahren einige aufsehenerregende Kreationen, die heute an Auktionen oft sechsstellige Euro-/Frankenpreise erzielen.

Die Automobil Revue beschrieb das Werks-Cabrio in der Salon-Vorankündigung im Jahr 1955:
“In seinem Äussern weist das neue Fiat-Cabriolet zahlreiche Details auf, die einen starken amerikanischen Einfluss erkennen lassen. Die Panoramawindschutzscheibe mit der massiven, ungebrochenen oberen Chromleiste und den vorwärts geneigten Seitenpfosten verleiht dem offenen Wagen jenen Schwung, der an amerikanische Traumwagen erinnert. Die hochgezogenen hinteren Kotflügel, deren vordere Begrenzung durch eine senkrechte Zierleiste markiert ist, die falschen Speichenräder, die randlosen Seitenscheiben – all diese Einzelheiten bilden zusammen ein kokettes Ganzes, das überhaupt keine traditionellen Züge präsentiert.
Besonders attraktiv ist der Innenraum gestaltet. Das Lenkrad zeigt drei elegant geknickte, federnde Speichen und eine tiefliegende Nabe. Die Instrumente sind, zusammengefasst, unter dem Volant angeordnet und liegen direkt in der Blickrichtung des Fahrers, der über die kurze Motorhaube hinweg dank der hervorstehenden Vorderkotflügel einen ausgezeichneten Überblick nach vorne auf die Fahrbahn hat. Der Sitz des Mitfahrers ist mit einer Sicherheitsgurte versehen; diese Einrichtung ist besonders wichtig und für diesen Platz viel eher notwendig als für den Lenker, da hier bei brüskem Stopp kein federndes Lenkrad den Schlag auffängt.
Mit dem Fiat-1100-TV-Cabriolet gelangt ein sonntägliches, schnelles Fahrzeug auf den Markt, das man als italienische Interpretation eines kleinen Traumwagens bezeichnen kann.”

Bereits 1957 löste der 1200 TV „Trasformabile“, der ausserhalb Italiens „Spyder“ hiess, den 1100 TV ab, der auf der Baureihe 103 basierte, und bot etwas mehr Leistung als sein Vorgänger, von dem bis im Herbst 1957 immerhin 1030 Exemplare gebaut worden waren.

Grösserer Motor

Dem Fahrer standen nun im Fiat 1200 TV Trasformabile rund 53 PS aus dem auf 1221 ccm vergrösserten Vierzylindermotor mit Aluminiumzylinderkopf zur Verfügung, was aufgrund des tiefen Gewichts von 960 Kilogramm durchaus ausreichte, um zügig voranzukommen. Gemäss den Redakteuren von Road & Track, die den 1200 TV als Spyder testeten, beschleunigte der Wagen in 18,6 Sekunden von 0 auf 60 Meilen pro Stunde (96 km/h) und lief knapp über 140 km/h schnell.

Das Fahrwerk verfügte über hydraulisch wirkende Teleskopstossdämpfer mit Stabilisatoenrstangen, vorne verbaute Fiat Schwingarme mit Schraubfedern, hinten Blattfedern. Geschaltet wurde über ein manuelles Vierganggetriebe, bei dem der erste Gang nicht synchronisiert war, und für die Verzögerung sorgten „Bremsen mit sich selbsttätig nachstellenden Bremsbacken und Bremstrommeln mit Kühlrippen“, wie der Prospekt vom Einführungsjahr 1957 stolz verkündete.

Praktische Lösung

Im Cockpit erwartete den Fahrer nun (im Gegensatz zum 1100 TV) ein Bandtacho, wie er damals dem Geschmack der Kunden entsprach (aber aus heutiger Sicht nicht besonders sportlich wirkt), das Nardi Holzlenkrad des Vorgängers musste einem Dreispeichenlenkrad von Fiat weichen. Im Innenraum spendierte man dem kleinen Flitzer schwenkbare Sitze, um der Dame von Welt das Ein- und Aussteigen zu erleichtern, und eine Kollision mit der Ecke der Panoramascheibe zu vermeiden. Eine „Radioanlage“ war „auf Verlangen, gegen Preisaufschlag“ zu haben, wie wir zeitgenössischen Verkaufsunterlagen entnehmen konnten. Seitenscheiben mit Fensterkurbeln, und ein Verdeck, das sich zur Not schliessen liess, sollte den kleinen Fiat wetterfest machen.

Der Designentwurf der offenen Fiat-Variante (1100 TV und 1200 TV) wird Fabio Luigi Rapi zugeschrieben, der auch das Coupé „Otto Vu“ entworfen hatte, den ersten V8 in der Geschichte von Fiat. Einige Stilelemente erinnern an das Lancia Aurelia Cabriolet, das von Pininfarina gezeichnet wurde, aber ob der eine Designer beim anderen abgeschaut hat, ist nicht bekannt  Sicher ist, dass Rapi für den TV Trasformabile tüchtig über den Atlantik geschielt hat, wo gerade Panoramascheiben und Heckflossen en vogue waren. Die integrierte er gekonnt in den kleinen 1200er, ohne dabei zu dick aufzutragen, wie er offenbar fand.

Anderer Meinung war die Zeitschrift „auto, motor und sport“, und schrieb in Ausgabe 12 des Jahres 1960 anlässlich der Vorstellung des Nachfolgemodelles: „Der Fiat 1200 Spyder des Geburtsjahres 1959 löste einen Vorgänger ab, der wegen seiner eigenwilligen Gestaltung nie die richtige Resonanz fand. Dieser Wagen, mit dem 53 PS-Motor, der auch in der Fiat 1200-Limousine eingebaut ist, wurde jedoch sofort akzeptiert, wie das schnell einsetzende Interesse auch bei uns bewies.“, und auch die AR vermeldete in Ausgabe 12/1959 zum Nachfolger: „Pinin Farina hat dem neuen 1200 Spyder eine neue, ruhigere und unendlich viel schönere Karosserie gegeben, als sie sein Vorgänger besass. Ohne viel unnötigen Zierrat ist dieser neue kleine Fiat ein wahres Bijou.“

Sportzwerg

Der Rapi-Spyder war mit einer Länge von 4.03 Meter und nur 152 Zentimeter Breite ein leichtfüssiger Sportler, der sich vor den Kollegen mit grösseren Motoren nicht zu verstecken brauchte. Wer heute, im Jahr 2020, einen der 2363 gebauten 1200 TV Trasformabile fahren möchte, sollte mit einem Anschaffungspreis um die 60’000 CHF/EUR (natürlich je nach Zustand) rechnen, wie aktuelle Marktrecherchen* zeigen. Im Januar 2018 wurde beim Auktionshaus Bonhams an der Scottsdale Versteigerung ein Exemplar für CHF 42’000 verkauft, was knapp EUR 40’000 entsprach, ein weiteres fand im März 2016, ebenfalls an einer Auktion, für rund 10% weniger einen neuen Besitzer.

Auch aus heutiger Sicht ist der Rapi-Entwurf sicherlich auffälliger als das Pininfarina-Blechkleid des Nachfolgers, aber in Würde gealtert sind sie beide. Damals hat sich der weniger opulent dekoreierte Pininfarina-Fiat besser verkauft als der Möchtegern-Amerikaner, heute ist es eher umgekehrt. Aufgrund der Seltenheit ist der Trasformabile auf Auktionen oft teurer, und an den Concours d’Elegance ist er ein gern gesehener Gast.

Der von zwischengas.com porträtierte Wagen wurde 2015 beim Spezialisten Auto Sport (Bacchelli & Villa) in Modena restauriert, und verfügt über „Matching Numbers“. *An der RM/Sotheby’s „Amelia Island“ Auktion  vom 6. und 7. März 2020 wurde das Auto für USD 70’000, was CHF 66’000 oder Euro 62’800 (Kurse Stand 14.3.2020) macht, verkauft.

Quellenangabe: https://www.zwischengas.com/de/FT/fahrzeugberichte/Fiat-1200-TV-Trasformabile.html

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