Wenn vom Maserati-Styling die Rede ist, dann ist üblicherweise der Maserati Ghibli, das Meisterwerk von Giorgietto Giugiaro, gemeint. Lange Motorhaube, fliessende Linien, grosse Fensterflächen, kurzes Heck – maximierte Eleganz machten dieses Design unsterblich. Viele kopierten kräftig, Autos wie der Matra-Simca Bagheera oder der Bitter CD zehrten davon. Auch heute noch überzeugt der Ghilbli mit seiner betörenden Schönheit, aber nicht nur damit.
Klassiker mit langer Haube
Der Ghibli hat klassische Sportwagenproportionen, eine lange Haube, eine kurze Passagierkabine, ein knackiges Heck. So sollen Sportwagen aussehen, so fand man zumindest in den Sechzigerjahren.
Zwar gab es den Ghibli oft auch in Rot und Gelb, doch bestellten viele Kunden ihr Coupé gerne in Metallic-Farbtönen, die die Linien noch stärker betonten.
Seine Konkurrenten waren der Ferrari 330 GTC, der 275 GTB (und später der Daytona) und der Lamborghini 350 GT/400 GT. Der Lamborghini Miura gehörte zu einer anderen Kategorie, zu nahe am Rennwagen war sein Mittelmotorkonzept. Der Ghibli wollte nie ein Rennwagen sein, er ist dem klassischen Gran Turismo verpflichtet. Entsprechend liegt sein Motor vorne, er verfügt genügend Stauraum für längere Reisen und man kann auch als Nicht-Akrobat in das Auto einsteigen.
Ghia-Design von Giugiaro
Giugiaro, Chef-Designer von Ghia Mitte der Sechzigerjahren, gestaltete den Maserati Ghibli in rund drei Monaten. Er schuf damit eine zeitlose Schönheit, die noch über Jahrzehnte andere Fahrzeuge beeinflusste. Er konnte allerdings auch aus dem Vollen schöpfen. 1,8 Meter Breite, 1,16 Meter Höhe und 4,59 Meter Länge sind eine gute Basis für eine elegante und dynamische Linienführung, speziell wenn über Nutzwert nicht allzu lange nachgedacht werden muss. Aber kaum ein anderer nutzte diese Möglichkeiten so gut aus wie Giugiaro.
Erstmals gezeigt wurde der Ghibli im November 1966 auf dem Turiner Automobilsalon. Die Automobil Revue schrieb damals:
„Beim Neuling aus dem Hause des Dreizack Neptuns handelt es sich um einen Prestigewagen mit zwei Sitzplätzen, der durch Ghia in geradezu sensationeller Weise einge- kleidet wurde. Die Basis ist das auf einen Radstand von 255 cm verkürzte Chassis des Maserati Mexico. Als Antriebseinheit wurde der 4,7-Liter-V8-Motor übernommen, der mit seinen vier Nockenwellen 330 DIN-PS abgibt.
Um die Höhe der Frontpartie zu reduzieren, ist man zur Trockensumpfschmierung übergegangen. Die glatten Flächen der harmonischen Karosserie verleihen dem «Ghibli» (Wüstenwind) getauften Modell die nötige optische Rasse. Der Maserati Ghibli zählt zu den schönsten in Turin gezeigten Modellen.“
Rennwagentechnik
Technisch liess man bei Maserati nichts anbrennen. Ein Gitterrohrrahmen bildete die Plattform für die Karosserie, der Motor verfügte über eine imposante Ahnengalerie, die bis zum Rennwagen 450S und zum Ultraluxus-Sportwagen 5000 GT zurückreichte.
Mit vier obenliegenden Nockenwellen, Leichtmetallzylinderköpfen und vier Weber-Fallstrom-Doppelvergasern (40 DCNL 5) machte der Motor optisch und technisch eine gute Figur. Zwischen 310 und 330 PS gestand man dem 4709 cm3 grossen Ghibli-Motor damals zu. Zudem erwies er sich als ziemlich drehzahlfest und langlebig!
Nur bei der Konzeption der Hinterachsaufhängung war man vielleicht etwas zu konservativ. Für die Verwendung einer Starrachse mit Blattfedern wurden die Maserati-Macher stark kritisiert. Im Fahrbetrieb bereitete die vergleichsweise simple Konstruktion aber kaum Nachteile und sie konnte die Kunden auch nicht davon abhalten, den Sportwagen zu kaufen.
Mit an der Spitze der Sportwagengilde
Wie Paul Frère (1968 in der Motor Revue) und Reinhard Seiffert (1969 in der Zeitschrift Auto Motor und Sport) bestätigen konnten, war der Ghibli ein echter Sportwagen. 7 Sekunden reichten für den Sprint von 0 bis 100 km/h. Die Höchstgeschwindigkeit lag bei 257 km/h (Frère) und 274,8 km/h (Seiffert), wobei noch heute gemunkelt wird, dass der AMS-Ghibli ausserordentlich gut lief, denn auch in der Beschleunigung bis 200 km/h nahm er mit 24,4 Sekunden seinem “Vorgänger” bei der Motor Revue 1,2 Sekunden ab.
Mit diesen Werten bewegte sich der Maserati in der obersten Liga der damals erhältlichen Sportwagen, nur der Lamborghini Miura und der 1968 vorgestellte Ferrari Daytona waren schneller. Beim Beschleunigen allerdings wurde der Ghibli durch seine grossen Abmessungen und sein hohes Gewicht benachteiligt, Konkurrenten konnten Ende der Sechzigerjahre schon mit Zeiten mit einer Sechs vor dem Komma für den Sprint auf 100 km/h aufwarten.
Und doch ein kommoder Langstrecken-Cruiser
Weniger laut als erwartet und dank dem hohen Gewicht mit gut schluckender Federung ausgerüstet, entpuppte sich der Ghibli in den Tests der Sechzigerjahre als ein angenehmer Gran Turismo. Nur die grossen Abmessungen, der enorme Wendekreis von über 12 Metern, das vom Schaltgefühl an mittelgrosse Lastwagen erinnernde Fünfganggetriebe (AMS) und die recht indirekte (vier, respektive fünf Umdrehungen von Anschlag zu Anschlag, je nach Test) und bei langsamer Fahrt kraftfordernde Lenkung minderten die Fahrfreude im Alltag.
Dafür war der Wärmehaushalt nicht aus dem Gleichgewicht zu kriegen und die Klimaanlage schöpfte schon nach 30 Sekunden eiskalte Luft durch die Düsen ins Fahrzeuginnere. Sogar die Sitzposition überzeugte Paul Frère, nachdem er mit zuvor einem Vorserienexemplar weniger glücklich gewesen war.
Den Verbrauch bezifferte die Motor Revue mit rund 28 Litern pro 100 km, Auto Motor und Sport nannte 23,0 Liter als Testverbrauch, während für die Fahrt über Landstrassen bei 80 km/h rund 19,2 Liter pro 100 km durch die Vergaser flossen.
Doch es war nicht nur die reinen Fahrleistungen, die für den Benzinverbrauch entschädigten, sondern auch das dabei entstehende Konzert. So konnte man in Auto Motor und Sport lesen:
“Maserati hat dafür gesorgt, daß die Vorgänge im Verbrennungsraum nicht durch übermäßige Schalldämpfung vor der Öffentlichkeit verborgen bleiben. Unter «Wichtig» vermerkt die Betriebsanleitung:
«Ihr Fahrzeug ist mit einer Auspuffanlage ausgerüstet, welche von Ispettorato Generale della Motorizzazione zugelassen wurde. Daß die Schalldämpfer den Vorschriften der italienischen Behörden entsprechen, besagt auf keinen Fall, daß die Auspuffgeräuschgrenze unter bestimmten
Betriebsbedingungen nicht überschritten wird.»
«Bestimmte Betriebsbedingungen» eintreten zu lassen, gehört zu den großen Versuchungen beim Umgang mit einem Ghibli. Aber ohne Zweifel kann man auch, unter Verzicht auf optimale Füllung, so ausgeglichene Verbrennungsvorgänge in die Rohre leiten, daß selbst geräuschempfindliche Zuhörer nur Wohlgefallen empfinden.
Ohnehin hat man als Ghibli-Fahrer nur selten unter Mißgunst zu leiden. Anstatt auf das Geräusch zu hören, blickt die Polizei auf die Karosserie, und Vertreter beider Kirchen bekundeten größeres Interesse an der Höchstgeschwindigkeit als an eventuellen andachtstörenden Geräuschen.”
Weiterentwicklung und Familienzuwachs
Von 1967 bis 1973 wurde der Ghibli gebaut. 1968 erhielt er in Form der offenen Version, die “Spyder” genannt wurde, Familienzuwachs. 1969 bohrte man den Motor auf 4930 cm3 aus und steigerte die Leistung auf 335 PS, ein “SS” in der Bezeichnung wies darauf hin, intern hiess er 115/49. Der 4,7-Liter wurde aber parallel weitergebaut.
Aus einer anderen Zeit
Wenn man sich heute in einen Maserati Ghibli setzt, ist man sich schnell bewusst, dass seit seinem Bau über 50 Jahre vergangen sind. Beschleunigungszeiten von sieben Sekunden auf 100 km/h und 250 km/h Spitze erreichen heute sogar schon biedere Familienlimousinen mit Vierzylinderturbodiesel-Motoren. Dafür nehmen sich die Dimensionen heute nicht mehr so gross aus, 180 cm Breite ist inzwischen Standard-Mass und auch 1600 kg gelten heute unter Sportwagen schon fast als Leichtgewicht.
Trotzdem will im Ghibli gearbeitet werden, Schaltung, Bremse, Kupplung erfordern gut trainierte Muskeln. Entschädigt wird man von einem feinen Motorengeräusch, das aber gerade im Vergleich zu anderen Sportwagen der Sechzigerjahre kaum nach Ohropax ruft.
Die Bedienungselemente verlangen nicht nach einem Studium der Betriebsanleitung, wenn man einmal von der manuellen Umschaltung zwischen den beiden Benzintanks (mit getrennten Einfüllstutzen!) absieht.
Die Sitze sind durchaus bequem, das Cockpit ist dank der grossen Glasflächen lichtdurchflutet.
Mit einem Ghibli lässt es sich leben und beim nächsten Tankstopp sind die nicht zu vernachlässigenden Benzinkosten (12 bis 18 Liter reichen heute allerdings sicher auch bei sportlicher Fahrweise) schnell vergessen, wenn sich die Bewunderer um das Auto scharen.
Ein Schweizer Auto mit Geschichte
1968 war der goldfarbene Ghibli 4700 in Genf ausgeliefert worden. Der erste Besitzer, ein Immobilienunternehmer, kannte zwei Passionen, nämlich alte Schlösser und seinen Maserati Ghibli. Doch irgendwann wurde er zu alt und musste den Maserati weitergeben und so fand er via einen Händler in eine neue Garage, benötigte allerdings eine umfassende Restaurierung, die viele Jahre in Anspruch nahm.
Heute steht der Maserati wieder wie neu da und zeigt sein Giugiaro-Ghia-Gewand in neu aufgetragenem, aber originalem Farbton.
Früher teurer, heute günstiger als ein Ferrari
Rund 73000 DM oder 65500 CHF kostete ein Ghibli im Jahre 1968. Damit übertraf er den Miura um mehr als 3000 DM in Deutschland, während er in der Schweiz fast gleich teuer wie sein Mittelmotorkonkurrent war. Ein Ferrari war aber erheblich günstiger zu bekommen, ein 330 GTC kostete 54000 CHF, ein 275 GTB 56000 CHF. Das hielt die Reichen von damals nicht davon ab, zuzugreifen: Jean-Paul Belmondo, Peter Sellers und sogar Henry Ford II stellten sich einen Ghibli in die Garage.
Heute hat sich die Welt gedreht. Gut erhaltene Maserati Ghibli Coupé, es wurden immerhin über 1100 Stück gebaut, sind zu tiefen sechsstelligen Beträgen zu kaufen, während die Ferrari-Alternativen durchwegs das Doppelte oder mehr kosten. Nur der seltene Spyder, der nur 125 Mal verkauft wurde, liegt mit rund dem zwei- bis dreifachen Preis eines Coupés deutlich im Ferrari-Wertgefüge.
Auch im Unterhalt dürfte ein gut erhaltener Ghibli günstiger sein als italienische Alternativen mit dem Pferdchen. Die Technik gilt als robust, die Rostanfälligkeit allerdings hat er mit anderen Sportwagen der Zeit gemeinsam. Bei der Wartung sollte man allerdings nicht sparen, sonst vergeht einem schnell die Freude am schönen Design. Und natürlich sollte man sich immer bewusst sein, dass man einen inzwischen rund 50-jährigen Klassiker bewegt.
Quellenangabe: https://www.zwischengas.com/de/FT/fahrzeugberichte/Maserati-Ghibli-der-schoenste-und-teuerste-Gran-Turismo-der-spaeten-Sechzigerjahre.html