Mit der neuen Alfa Romeo Giulia präsentierte der Mailänder Autohersteller eine Limousine, die auf Anhieb die Wünsche vieler sportlicher Automobilisten erfüllte, auch wenn ihr Aussehen nicht jedem sofort gefiel. Durch geschickte Modellreihenerweiterungen vergrösserten die Produktstrategen von Alfa Romeo den Markt kontinuierlich und hielten das Modell über mehr als anderthalb Jahrzehnt attraktiv.
Zuerst als 1600-er
Am 27. Juni 1962 wurde zunächst die Giulia mit 1,6-Liter-Motor und 92 PS vorgestellt. Vier Türen, fünf Plätze, ein cw-Wert von 0,34 und sportwagenmässige Fahrleistungen: Die Giulia war ein Auto, wie es sich viele erträumten.
1963 setzten die Mailänder noch einen drauf und präsentierten die TI Super mit 112 PS. Für die meisten Käufer aber war schon die 1,6-Liter TI-Version zu teuer.
Dann die Sparvariante
Um auch weniger zahlungskräftigen Enthusiasten eine Giulia anbieten zu können und gleichzeitig von Inflationsbekämpfungs-Massnahmenpaketen der italienischen Regierung zu profitieren, entschlackten die Ingenieure die 1600-er-Variante und rüsteten sie mit einem modifizierten 1,3-Liter-Motor der Giulietta TI aus, der nun 74 bis 78 DIN-PS bei 6000 Umdrehungen leistete.
Bei der Ausstattung wurde auch gespart, so gab es nun keine elektrische Scheibendusche mehr, das Armaturenbrett war genauso wie das Lenkrad schwarz gehalten, vorne eine Sitzbank oder gegen Aufpreis Einzelsitze montiert. Immerhin aber gab es einen Mittelschalthebel und auch sonst fehlte eigentlich nur wenig, was man beim Fahren brauchte. Sparen aber konnte man rund 11 Prozent gegenüber der 1,6-Liter-Variante, in Italien stand die Giulia 1300 mit Lire 1,395 Millionen in der Preisliste.
Beim Fahrwerk blieb alles weitgehend beim alten. Vorne waren übereinanderliegende Querlenker für die Radführung zuständig, hinten eine aufwändig konstruierte Starrachse. Scheibenbremsen von Dunlop rundum bestärkten weiterhin die Sonderstellung der Einstiegsmodells.
Aussen erkannte man die 1300-er Version an den fehlenden Doppelscheinwerfern und am einfacheren Kühlergrill.
Langsam war die Giulia auch mit dem 1,3-Liter-Doppelnockenwellenmotor nicht, 157,8 km/h mass die Automobil Revue bei Probefahrten als Spitzengeschwindigkeit. Auch der Verbrauch fiel mit 9 bis 12 Litern pro 100 km sparsam aus.
Sportliche 1300-er-Version
Trotz der guten Anlagen betrachteten viele Alfa-Kunden die 1300-er Giulia als “armen Vetter” der 1600-er-Version. Im Verkauf schadete ihr dies zwar nicht, war die Giulia 1300 doch Mitte der Sechzigerjahre in Italien für einen Viertel der gesamten verkauften Alfa-Fahrzeuge verantwortlich.
Am 4. Februar 1966 aber kam mit der Giulia 1300 ti als schärfere Schwester dazu. Das “ti” stand dabei wiederum für “Tourismo Internationale”.
Eine höhere Verdichtung, modifizierte Nockenwellen und natriumgekühlte Ventile liessen eine Leistungssteigerung auf 82 PS bei 6000 Umdrehungen zu. Das Getriebe wies nun fünf Vorwärtsgänge auf, wobei der dazugekommene fünfte Gang als Schnellgang ausgelegt war.
Gemäss Werk sollte mit der ti-Version nun 13,4 anstatt 16,4 Sekunden für den Spurt von 0 bis 100 km/h vergehen, die Höchstgeschwindigkeit wurde mit fast 165 km/h angegeben.
„Kein Ackergaul“
Manfred Jantke testete 1966 die Giulia 1300 ti für Auto Motor und Sport, zeigte sich aber recht kritisch über die 82 PS, obschon der Wagen 165 km/h schnell lief und in 14 Sekunden von 0 bis 100 km/h beschleunigte. Dies seien zwar hervorragende Werte für einen 1300er, aber es gäbe halt gleichteure Mittelklasse-Limousinen, die nicht schlechter gehen würden.
Jantke lobte die Ergonomie und die hervorragende Platzausnutzung der Giulia: “Die Giulia ist ein kleines Auto; nur so groß wie ein Viersitzer sein muss. Auch hier erkennt man die Ableitung vom Sportwagen. Alfa duldet keine Renommierzentimeter und kein Kilogramm zuviel … Innen sitzen auch große Fahrer vorn und hinten bequem. Man sitzt sportlich tief in den vorderen Einzelsitzen, hat aber einen guten Ausblick über die Wagengrenzen.”
Trotz insgesamt vieler lobender Kommentare konnte sich Jantke nicht so ganz mit der Giulia 1300 ti anfreunden: “Der Giulia 1300 TI geben wir auf dem deutschen Markt nur eine Außenseiterchance, zumal sie in Preis und Leistung direkt auf den neuen BMW 1600 trifft. Sie ist in erster Linie für italienische Verhältnisse gebaut. Die Hauptrolle in Deutschland wird zweifellos die Giulia Super spielen, der auch wir den Vorzug geben würden. Zwar liegt der 1300er günstiger in den Unterhalts kosten und ist außerordentlich sparsam im Benzinverbrauch, aber die Kostendifferenz hat in dieser Preisklasse wohl nicht mehr genügend Gewicht. Immerhin gibt es hier einen Alfa Romeo unter 10’000 DM, der — das möchten wir nachdrücklich feststellen — an fahrerischem Reiz den teureren Modellen nur wenig unterlegen ist.”
Da war das Bessere wohl des Guten Feindes. Als Testverbrauch notierte Jantke übrigens 10,9 Liter pro 100 km.
In Deutschland kostete der Wagen DM 8950, in der Schweiz CHF 10’640, trotz allem ein durchaus faires Angebot.
Bis 1978
Kommerziell war die Giulia 1300 ti ein Erfolg, 144’214 Exemplare wurden von ihr bis 1972 gebaut. Unterwegs profitierte sie jeweils auch von den Verbesserungen der anderen Modelle, so gab es 1967 neue Griffe und Stossstangen, 1969 neue Räder und 1970 hängende Pedale.
Im November 1970 erschien dann die 1300 Super, die mit zwei Doppelvergasern 88 PS leistete und nun locker über 165 km/h schnell lief.
Eine weitere grosse Modellpflege erfolgte mit der Straffung des Bauprogramms im Frühling 1972. Nun hiess die 1,3-Liter Variante Super 1.3.
Die umfangreichste Anpassung geschah aber im Jahr 1974, als die Nuova Super 1.3/1.6 erschien. Sie musste auf den Knick im Kofferraumdeckel genauso verzichten, wie auf den Chromgrill, der durch eine Plastikvariante ersetzt wurde. Bis 1978 bauten die Mailänder das Modell, dann übernahm die Nachfolgerin Giulietta.
Traum in Moosgrün
Eine Giulia ist immer eine besondere Erscheinung, in der Farbe “moosgrün” (“verde muschio”) ist sie allerdings noch spezieller. Es handelt sich dabei um einen dunkelgrünen Farbton, der je nach Tageszeit ins “Bläuliche” changiert. Dies steht der Giulia ausgenommen gut, zumal in Kombination mit einem braunen Interieur.
Man fühlt sich sofort wohl hinter dem Lenkrad der 1,3-Liter-Limousine. Das Zündschloss liegt (wie bei einem Porsche) links vom Lenkrad, der Motor springt sofort an. Die rechte Hand fällt wie von selber auf den Mittelschalthebel, die stehende Pedalerie verlangt nach etwas Angewöhnung.
Man sitzt aufrecht, hat dafür aber auch eine hervorragenden Rundumlicht. Etwas überrascht registriert man den Bandtacho, der nicht überaus sportlich wirkt, zumal der Drehzahlmesser sehr klein ausgefallen ist. Dies ist aber sofort vergessen, wenn man losfährt.
Flott zieht der 1300er los und lässt vergessen, dass man nicht in einer der stärkeren Schwestern sitzt. Für heutige Verhältnisse reichen die Fahrleistungen problemlos aus, Dauervollgas auf der Autobahn würde man der hübschen Giulia sowieso nicht zumuten wollen.
Überaus kompakt ist die gefällige Limousine, nur gerade 4,11 Meter misst sie in der Länge, 1,56 Meter in der Breite. Da werden auch schmale Landstrassen nicht zum Albtraum.
Die Giulia ist leicht zu fahren und sie erfreut durch schöne Auspuffgeräusche und sichere Bremseigenschaften.