Der lange Lulatsch aus Turin – Fiat 1500 L im (historischen) Test

Lesenswerter und gleichzeitig amüsanter Testbericht (im Originalwortlaut) von Heinz Kranz für die Zeitschrift «hoppy» aus dem Jahr 1963.

Ein Auto für die große Familie zu ‚kleinen Preisen* stellte das italienische Werk auf die Räder. Der Unterschied zum ‚großen* Fiat ist nur unter der Haube zu erkennen.

Der Buchstabe “L” hinter der Typenbezeichnung eines Autos kann verschiedene Bedeutungen haben: Beim (Opel) Kapitän heißt es “Luxus”, bei einem (Mercedes-Benz) SL soviel wie “leicht”. Hinter der Zahl 1500 eines Wagens, der vom Fiat 1800 äußerlich kaum zu unterscheiden ist, bedeutet dieses “L” ganz schlicht und einfach “lang”.

Brauchbar oder nicht?

Einen ganzen heißen Tag lang raste ich mit dem Fiat “1500 lunga” über die Autostradas von Turin nach Mailand und Ivrea und über Serpentinenstraßen rund um Aosta, um herauszubekommen, ob ein Fiat 1800 mit dem Motor des Fiat 1500 ein wirklich brauchbares Auto sei. Ich fuhr mit zwei, in der Hauptsache jedoch mit vier Personen, denn der 1500 L soll das Auto für die große Familie werden, die im normalen 1500 keinen Platz findet.

Zunächst war kein Unterschied zu den normalen Fahrleistungen des 1800 zu finden: Der 1,5-l-Motor bewältigt das Mehrgewicht zwischen 1500 und 1800, das immerhin an die 300 kg beträgt, geradezu spielend. Mit vier Personen besetzt, erzielte der 1500 L auf dem Messkilometer der Fiat-Werke auf der Autostrada nach Ivrea eine Höchstgeschwindigkeit von 145 km/h als Mittel von mehreren Messungen in beiden Richtungen. Ich führte diese Messungen mehrere Male durch, weil ich es einfach nicht glauben wollte, daß der ‚Lange‘ nur um 5 km/h langsamer sein könnte als der normale 1500 oder der normale 1800 mit seinem bestimmt nicht schwachen Sechszylinder.

Um Unklarheiten zu vermeiden, sei gleich darauf hingewiesen, daß es sich hier um den “1500 lunga” und nicht um den Fiat “1500 Taxi” handelt. Letzterer Typ wird mit einem gedrosselten 1,5-l-Motor mit 60 CUNA-PS geliefert, während der Motor des “1500 lunga” normale 72CUNA-PS leistet. Der Taxi-Motor besitzt einen einfacheren Vergaser und keinen von einem Thermostaten geregelten, sich selbsttätig abstellenden Ventilator. Bekanntlich hat ja Fiat von Peugeot die Lizenz für diese leistungssteigernde Einrichtung erworben, die in den Typen 1500, 1800 B und 2300 Verwendung findet.

Altbewährte Techniken

Die Kombination einer großen Karosserie mit einem relativ kleinen, aber leistungsfähigen Motor ist nicht neu: Seit der Suez-Krise gibt es bei Simca die Ariane, die in der Kombination Vedette und 1290-ccm-Super Rush-Motor als einziger Typ die Vedette-Reihe überlebt hat. Allerdings spürt man bei der Ariane im Nu, daß unter der Haube ein kleinerer Motor rumort, während man beim “1500 lunga” getrost Wetten darauf abschließen könnte, daß ein Uneingeweihter selbst nach 100 Kilometern nicht merkt, daß ein Vierzylinder statt eines Sechszylinders den großen Wagen antreibt.

Erst bei hochprozentigen Serpentinen scheiden sich die “Geister” deutlich. Commendatore Salamano, der nunmehr über 70 Jahre alte Versuchsleiter von Fiat, hatte mich in früheren Jahren viele Male die Serpentinen zur Basilika von Superga “hinauf katapultiert”; also machte ich den 
Superga-Berg wieder einmal zur Versuchsstrecke.

Glückliche Kombination mit wirtschaftlichen Vorteilen

Um einen unmittelbaren Vergleich zu haben, setzten wir noch einen normalen 1800 B ein. Dank seinem höheren Drehmoment zieht der 1,8-Liter die Serpentinen natürlich noch eleganter hinauf, doch ganz abschütteln ließ sich der 1500 L auf der Steilstrecke nicht. Nach all diesen Erfahrungen halte ich den 1500 L für eine überaus glückliche Kombination, deren wirtschaftliche Vorteile nicht nur in Italien eine große Rolle spielen können. Allerdings wird der 1500 L zur Zeit noch nicht exportiert.

In Deutschland wird er anläßlich der Frankfurter Automobilausstellung vorgestellt; vermutlich im Herbst wird er auch zu haben sein. Man war bei Fiat nicht gerade glücklich darüber, daß hobby darauf bestand, einen ersten Erfahrungsbericht schon jetzt zu bringen, doch angesichts der alten Freundschaft gab man in Turin unseren manchen Tatsachen vorauseilenden Bericht frei.

Preisschlager trotz gravierender Kritik?

Vor allem einer Preisangabe hat Fiat nur mit Vorbehalt zugestimmt: man sagte uns, daß der 1500 L weniger als 1000 DM mehr kosten könnte als die normale 1500er-Limousine. Stimmt dieser Preis, dann ist der “Lange” ein Schlager! Denn nicht nur seine Leistungen bestechen, sondern auch der Komfort und nicht zuletzt die Sicherheit. Girling-Scheibenbremsen an allen vier Rädern mit Bremshelf sind ein starkes Wort.

Wir konnten uns immer wieder davon überzeugen, wie sicher diese Bremsen aus Höchstgeschwindigkeiten heraus zupacken und wie frei von Fading sie sind, selbst dann, wenn man kilometerlang Serpentinen herunterbremst.

Der Fiat-Tester hatte es bislang nicht schwer, wenigstens einen gravierenden Punkt für seine Kritik zu finden, nämlich die “wanderlustige” Hinterachse. Aber neuerdings trifft auch dieser Punkt nur noch zur Hälfte zu. Als ich das letzte Mal einen Fiat 1800 B fuhr, brachte mich das ständige “Ausscheren” der Hinterachse in den Kurven nach Sestrière hinauf noch um mein seelisches Gleichgewicht. Inzwischen hat man offenbar Mittel gefunden, der Hinterachse das Kurvenwandern zu einem guten Teil auszutreiben, so daß der 1800 beziehungsweise 1500 L in den Kurven ruhiger liegt, als der 1500. Das ist ein nicht zu unterschätzendes Plus! Von Vorteil ist natürlich auch die Tatsache, daß der größere Wagen für längere Menschen bessere Platzverhältnisse schafft.

Die Innenausstattung ist beim 1500 L die gleiche wie im 1800 B, von ein paar unwesentlichen Kleinigkeiten bei den Armaturen abgesehen.

Motortechnisch keine grossen Unterschiede bemerkbar

Dem Mechaniker bietet der Blick unter die Motorhaube viel Erfreuliches. Da der Vierzylinder weit weniger Raum benötigt, sind alle Aggregate vorbildlich zugänglich. Der leichtere Motor entlastet auch die Vorderachse. Die Lenkung ist noch leichtgängiger als beim 1800, so daß man auch im allerdicksten Kurvenkarussell den Bizeps nicht zu überfordern braucht. Es war schon davon die Rede, daß der Super Rush in der Ariane ganz schön rumort. Das heißt für uns soviel wie Lärm, und so achtete ich selbstverständlich ganz besonders darauf, ob der 1,5-Liter sich hier nicht ähnlich austoben würde. Natürlich kann man von einem 1500er-Motor nicht den weichen Lauf eines 2300er-Motors erwarten. Doch sehr viel lauter als der 1800 ist der 1500er-Motor nicht!

Die Nenndrehzahlen beider Motoren sind etwa gleich; gleich sind aber auch – im Gegensatz zu Ariane und Aronde – die Untersetzungsverhältnisse, so daß der Motor nicht höher zu drehen braucht, um auf gleiche Geschwindigkeiten zu kommen. Der 1,5-Liter leistet 67 DIN-PS, der 1800 B 81 DIN-PS. Die 14 PS Differenz machen sich in den Geschwindigkeiten erstaunlich wenig bemerkbar, sofern man den 1500 L zügig fährt, richtig schaltet und ein wenig Gefühl für die Besonderheiten dieses neuen Typs aufbringt.

Raum, Komfort, Technik und Sicherheit zu sehr gutem Preis

Gut zwanzig verschiedene Typen weist das Fiat-Personenwagen-Programm auf. Wer hier die Wahl hat, der hat wirklich die Qual. Seit es jedoch den 1500 L gibt, ist die Wahl, so will es mir wenigstens scheinen, viel leichter geworden: der 1500 kostet rund 7000 DM, der 1800 B etwas unter 9000 DM. Sollte der 1500 L tatsächlich um die 7700 bis 7800 DM 
kosten, dann zeige man mir erst einmal ein Auto, das für diesen Preis so viel Raum, Komfort, Technik und Sicherheit bietet. Ecco la Fiat 1500 lunga!

Quellenangabe: https://www.zwischengas.com/de/FT/fahrzeugberichte/Fiat-1500-L-im-historischen-Test.html

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